Ungeduld beim Anfahren erweist sich als grob verkehrswidrig

(verpd) Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang eines anfahrenden Verkehrsteilnehmers zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Sorgfaltspflichtverstoß des Anfahrenden. Das hat das Landgericht Mönchengladbach entschieden (Az.: 5 S 29/20).

Ein Kfz-Fahrer hatte mit seinem Pkw auf einem parallel zur Fahrbahn verlaufenden Parkstreifen angehalten, um eine dort wartende Kollegin zusteigen zu lassen. Unmittelbar danach betätigte er den Blinker und fuhr auf die Fahrbahn ein.

Kurz darauf kam es zu einer Kollision mit dem Fahrzeug eines von hinten kommenden Verkehrsteilnehmers. Dieser war wegen des Fahrmanövers des Anfahrenden auf die Gegenfahrbahn ausgewichen. Wegen Gegenverkehrs musste er jedoch wenig später wieder einscheren. Dabei berührten sich die beiden Autos. Der auf die Fahrbahn Einfahrende verklagte den von hinten kommenden Kfz-Fahrer auf Schadenersatz.

Schadenteilung angemessen?

Der Kläger hatte vor seinem Einfahren in die Fahrbahn den Beklagten zwar wahrgenommen, er warf ihm jedoch vor, mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und ohne erkennbaren Grund wieder nach rechts eingeschert zu sein. Der Beklagte sei daher allein für den Unfall verantwortlich.

Das in erster Instanz mit dem Fall befasste Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt ging von einem gegenseitigen Verschulden der Unfallbeteiligten aus. Dem Anfahrenden warf das Gericht vor, gegen seine Sorgfaltspflichten gemäß Paragraf 10 Satz 1 StVO (Straßenverkehrsordnung) verstoßen zu haben. Denn danach habe sich derjenige, der auf eine Fahrbahn einfahre, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.

Dem Beklagten sei hingegen vorzuwerfen, sein Fahrzeug ohne Grund vorzeitig nach rechts gelenkt zu haben. Denn seine Behauptung, dass das wegen Gegenverkehr erforderlich gewesen sei, habe er nicht beweisen können. Angemessen sei daher eine Schadenteilung.

Eklatanter Sorgfaltsverstoß

Dem wollte sich das in Berufung mit dem Fall befasste Mönchengladbacher Landgericht nicht anschließen. Es entschied, dass der Kläger allein für die Folgen des Unfalls aufzukommen habe. Das Berufungsgericht hatte einen Sachverständigen angehört. Danach zeigten sich die Richter überzeugt, dass dem Beklagten durch das Fahrmanöver des Unfallgegners eine Reaktionszeit von gerade mal 1,4 Sekunden geblieben war, um ein unmittelbares Auffahren auf dessen Fahrzeug zu vermeiden.

Dabei sei allein schon eine Sekunde jene Zeit, die ein durchschnittlicher Fahrzeugführer in der Regel benötige, um auf eine Gefahrensituation zu reagieren. Mit anderen Worten: Dem Beklagten seien lediglich 0,4 Sekunden verblieben, um sein Ausweichmanöver einzuleiten.

Unter diesen Umständen sei von einem eklatanten Sorgfaltsverstoß des Klägers gegen Paragraf 10 Satz 1 StVO auszugehen. Die die sich daraus ergebende höchste Sorgfaltspflicht entfalle erst dann, wenn sich ein auf eine Fahrbahn auffahrender Verkehrsteilnehmer endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet habe und so jegliche Einflussnahme auf das weitere Verkehrsgeschehen ausgeschlossen sei.

Grob verkehrswidriges Verhalten

Den Vorwurf des Klägers, dass der Beklagte zu schnell gefahren sei, hielt das Gericht für nicht erwiesen. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen habe dessen Geschwindigkeit nicht mehr als die am Unfallort erlaubten 50 Stundenkilometer betragen.

Der Kläger, der das Fahrzeug des Ausweichenden nach eigenem Bekunden von weiterer Entfernung wahrgenommen habe, hätte den Unfall folglich durch kurzes Zuwarten und Passieren-Lassen des Autos vermeiden können.

Die Betriebsgefahr des Pkws des Beklagten trete daher vollständig hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Klägers zurück.

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