Grobes Verschulden beim Linksabbiegen

(verpd) Stoßen ein Linksabbieger und ein überholendes Fahrzeug zusammen, weil der Fahrer des abbiegenden Fahrzeugs nicht ausreichend seiner doppelten Rückschaupflicht genügt hat, ist er ohne das Hinzutreten weiterer Umstände allein für den Unfall verantwortlich. Das hat das Oberlandesgericht Hamm mit rechtskräftigem Urteil vom 8. Juli 2022 entschieden (7 U 106/20).

Der Kläger war mit seinem Motorrad auf einer Landstraße unterwegs, als er ein langsam fahrendes Eisverkaufsfahrzeug überholen wollte. Dessen Fahrer hatte die Geschwindigkeit reduziert. Denn er beabsichtigte, nach links in eine andere Straße abzubiegen.

Den Blinker seines Autos betätigte er nach eigenem Bekunden erst kurz vor dem Abbiegevorgang. Denn er wollte zuvor einen ihm entgegenkommenden Pkw passieren lassen.

Das Signal kam für den Motorradfahrer zu spät. So stießen die beiden Fahrzeuge zusammen. Dabei wurde der Biker schwer verletzt. Er verklagte daher den Halter des Eisverkaufsfahrzeugs sowie dessen Kfz-Haftpflichtversicherer auf Zahlung von Schadenersatz sowie eines Schmerzensgeldes.

Schwere Verletzungen

Vor Gericht verteidigte sich der Beklagte damit, dass der Motorradfahrer damit habe rechnen müssen, dass er nach links abbiegen wollte. Denn er habe die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht nur deutlich reduziert, sondern sich auch vorsichtig in Richtung der Fahrbahnmitte eingeordnet.

Im Übrigen habe er seiner Rückschaupflicht genügt. Er habe nämlich einen doppelten Schulterblick vorgenommen. Dabei habe er den Kläger wahrgenommen. Dessen Motorrad sei zu diesem Zeitpunkt aber noch etwa 20 bis 30 Meter entfernt gewesen.

Diese Argumentation überzeugte das Hammer Oberlandesgericht nicht. Die Richter gaben der Klage des Zweiradfahrers in vollem Umfang statt.

Unzureichende Orientierung nach hinten

In seiner Urteilsbegründung wies das Gericht darauf hin, dass § 9 StVO neben weiteren Pflichten auch die Verpflichtung beinhalte, dass derjenige, der nach links abbiegen wolle, unmittelbar vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr achten müsse. Nur dann genüge er seiner zweiten Rückschaupflicht.

Dass der Beklagte dem gerecht geworden sei, habe er nicht bewiesen. Denn den zweiten Schulterblick habe er nach eigenem Bekunden vorgenommen, als der Kläger mit seinem Motorrad noch 20 bis 30 Meter entfernt war.

Damit sei nicht erwiesen, dass er sich unmittelbar vor dem Abbiegevorgang pflichtgemäß erneut nach hinten orientiert habe. Das sei aber angesichts seiner vorherigen Wahrnehmung des Motorradfahrers zwingend erforderlich gewesen.

Keine unklare Verkehrslage

Dem Motorradfahrer könne auch nicht vorgeworfen werden, gegen § 5 Absatz 3 StVO verstoßen zu haben, indem er das Eisverkaufsfahrzeug trotz einer unklaren Verkehrslage überholt habe. „Denn allein der Umstand, dass das vorausfahrende Fahrzeug seine Geschwindigkeit verringert und sich etwas zur Fahrbahnmitte einordnet, begründet noch keine unklare Verkehrslage, bei der ein Überholen nach § 5 Absatz 3 Nr. 1 StVO unzulässig ist“, so das Gericht.

Dem Biker konnte nach den Feststellungen eines Sachverständigen auch kein Verstoß wegen Überschreitung der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometer pro Stunde nachgewiesen werden. Daher ist nach Ansicht des Gerichts allein der Beklagte für die Folgen des Unfalls verantwortlich. Eine etwaige Haftung aus der Betriebsgefahr des Motorrades trete hinter dem groben Verschulden des Beklagten vollständig zurück.

Versicherungstipp

Wie ein Unfall vom Gericht bewertet wird, ist kaum vorherzusehen. Daher ist man auf der sicheren Seite, wenn man eine Rechtsschutzversicherung hat, die dann das Prozesskostenrisiko zu tragen hat.

Wenn dann tatsächlich der Unfallgegner verurteilt wird, den Schaden vollständig zu übernehmen, kann man mit dem Ersatz der eigenen Kosten und gegebenenfalls einem Schmerzensgeld rechnen.

Anderenfalls zahlt sich die eigene Vorsorge aus. Dann ist hoffentlich das Fahrzeug und die eigene Arbeitskraft abgesichert und eine gute Kranken- und Pflegeversicherung vorhanden.

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