(verpd) Allein die Tatsache, dass ein Beschäftigter am Vorabend eines Wegeunfalls Cannabis konsumiert hat, berechtigt die Berufsgenossenschaft nicht dazu, ihm die Leistung zu verweigern. Sie muss vielmehr nachweisen, dass der Unfall Folge des Drogenkonsums war. Dies erklärte das Sozialgericht Osnabrück in einem Urteil (S 19 U 40/18).
Ein Arbeitnehmer befand sich mit seinem E-Bike auf dem Weg zur Arbeit, als er beim Überqueren einer Straße einen von rechts kommenden vorfahrtsberechtigten Pkw übersah. Es kam zu einem Zusammenstoß. Wegen der dabei erlittenen Verletzungen wollte der Mann Leistungen der Berufsgenossenschaft, des zuständigen Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung, in Anspruch nehmen.
Der gesetzliche Unfallversicherer verweigerte ihm jedoch die Leistung. Denn im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens, so die Begründung, habe sich ergeben, dass der Versicherte am Abend vor dem Unfall zwischen 20.00 und 22.00 Uhr eine Cannabiszigarette geraucht hatte.
Angesichts des in seinem Blut nachgewiesenen THC-Werts von zehn ng/ml sei von einem drogenbedingten Fehlverhalten, das nicht unter dem Versicherungsschutz steht, auszugehen.
Das wurde von dem Versicherten bestritten. In seiner gegen die Berufsgenossenschaft eingereichten Klage trug er vor, regelmäßig Cannabis zu rauchen. Dessen Wirkung halte jedoch nur wenige Stunden an, so dass er am Morgen des Unfalls nicht mehr unter Drogeneinfluss gestanden hätte.
Er habe das vorfahrtsberechtigte Auto schlichtweg übersehen. Das könne jedem Verkehrsteilnehmer passieren. Der gesetzliche Unfallversicherer habe den Vorfall daher als Wegeunfall anzuerkennen.
Dem schloss sich das Osnabrücker Sozialgericht an. Es gab der Klage des Verletzten statt. Nach Ansicht des Gerichts schließt ein verbotswidriges Verhalten eines Versicherten den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht generell aus. Die Berufsgenossenschaft könne sich im Fall des Klägers auch nicht auf das sogenannte „Rechtsinstitut der selbstgeschaffenen Gefahr“ berufen.
Für Cannabis gebe es nämlich im Unterschied zu Alkohol keine gesicherte Dosis-Wirkung-Beziehung und damit auch keinen Wert für eine absolute Fahruntüchtigkeit. Allein der THC-Gehalt seines Blutes nach dem Unfall lasse daher keinen Schluss auf eine konkrete Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Klägers zu.
Es wäre daher Sache der Berufsgenossenschaft gewesen nachzuweisen, dass der Unfall auf den Drogenkonsum des Klägers zurückzuführen war. Dieser Nachweis sei ihr nicht gelungen. Denn die dem Kläger unterlaufene Unachtsamkeit hätte auch jedem anderen Verkehrsteilnehmer geschehen können.
Unabhängig davon hätten weder Unfallzeugen noch die Notärzte irgendwelche Anzeichen dafür festgestellt, dass der Kläger bei seinem Unfall unter Drogeneinfluss gestanden hat. Der gesetzliche Unfallversicherer sei daher zur Leistung verpflichtet. Die Entscheidung ist mittlerweile rechtskräftig.
Übrigens: Die meisten Unfälle ereignen sich in der Freizeit, und hier besteht normalerweise kein gesetzlicher Unfallschutz. Doch selbst wenn für ein Unglück ein gesetzlicher Unfallschutz besteht, wie bei einem Arbeits- oder Wegeunfall, genügen die Leistungen der Berufsgenossenschaft oftmals nicht, um die Mehrbelastungen und Einkommensausfälle, die ein Unfall mit sich bringen kann, zu kompensieren.
Die private Versicherungswirtschaft bietet diesbezüglich zahlreiche Lösungen an, um sowohl einen fehlenden gesetzlichen Versicherungsschutz als auch die durch Unfall oder Krankheit auftretenden Einkommenslücken trotz gesetzlichem Schutz abzusichern. Zu nennen sind hier eine private Unfall-, eine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeits-Versicherung, aber auch eine Krankentagegeld-Police.